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Ulrich Greiner

In Paris sehen die Menschen gut aus
Der neue Roman von Jeffrey Eugenides "Die Liebehandlung" ist wirklich kein guter Roman

Jeffrey Eugenides greift gern hinein ins volle Menschenleben und füttert mit seinen Funden die Seiten, bis der Roman dick und rund geworden ist. 733 Seiten waren es bei „Middlesex“ (2003), 621 sind es bei seinem dritten und jüngsten Roman „Die Liebeshandlung“. Wer so unverdrossen drauflos erzählt wie der 51-jährige Amerikaner, wer so viel an Wertstoffen aufsammelt, der kann sicher sein, dass seine Leser manches davon brauchen können, und in der Tat gibt es in diesem Material allerlei Erzählens- und Bedenkenswertes. Man muss aber daran erinnern, dass Literatur mit Form und Sprache zu tun hat und dass, wo beides fehlt, von Literatur keine Rede sein kann. Mit der Form hatte Eugenides schon in „Middlesex“ seine Probleme. Der endlos ausufernde Roman schien alles zu enthalten, was dem Verfasser auf- und eingefallen war. Auch in seinem neuen Buch stoßen wir allzu oft auf belanglose Füllsel, die man ersatzlos streichen könnte: „In einem Restaurant nahe der Whaler's Warf, mit Fischernetzen an den Wänden, aßen sie zu Mittag. Ein Schild im Fenster kündigte den Gästen an, das Lokal werde in der nächsten Woche schließen.“ Falls also der Leser beabsichtigen sollte, dieses Restaurant mit den Fischernetzen an den Wänden nächste Woche zu besuchen, so wird ihm die Information von Nutzen sein.

Die beiden, die da zu Mittag speisen, heißen Madeleine und Leonard. Sie sind noch jung, haben den College-Abschluss gerade hinter sich gebracht und werden in Kürze heiraten, gegen den Willen der Brauteltern und gegen den erklärten Protest eines Dritten, des Theologiestudenten Mitchell, der Madeleine nahezu besinnungslos liebt. Sie liebt ihn nur ein bisschen, und das ist nicht genug. Denn ihr Augenstern ist dieser genial begabte Leonard, der aber an manischer Depression leidet. Die Krankheit steuert tückisch die Höhen und Tiefen ihrer Liebesbeziehung, und hier gelingen Eugenides einige durchaus eindrucksvolle Szenen. Auch wird das Leben an irgendeinem College irgendeiner amerikanischen Kleinstadt der achtziger Jahre in Episoden und Anekdoten anschaulich geschildert. Leider allerdings begegnen wir zahllosen Nebenfiguren, die uns sämtlich mit Namen und Aussehen vorgestellt werden, bevor sie spurlos verschwinden.

Der liebeskranke Mitchell macht, um Madeleine zu vergessen, eine Weltreise, die zunächst in Paris beginnt. „Pigalle war sowohl zwielichtig als auch touristisch. Jenseits des Jugendstil-Eingangs der Métro-Station lockte ein hüftwackelndes Strichmädchen die Autofahrer an.“ Die Stadt hat zweifellos ihre Reize: „Bei schmeichelndem Abendlicht durchquerten sie im Zickzackkurs die Innenstadt. Die Menschen in Paris sahen ohnehin gut aus; jetzt sogar noch besser.“ Die Reise geht quer durch Europa, und Eugenides verschont uns nicht mit Mitchells Eindrücken, die wie aus einem Polyglott-Führer abgeschrieben wirken.

Natürlich kann man solche geradezu leichenblasse Passagen (es sind nicht wenige) überblättern, aber was man nicht übergehen kann, ist die vollkommene Unfähigkeit des Autors, seine Menschen aus dem Innern zu begreifen und eine Sprache dafür zu finden. Gerade für Madeleine, die eigentliche Hauptfigur, fallen ihm bloß Schablonen ein, und er redet von ihr wie ein Therapeut: „Rückblickend musste Madeleine sich eingestehen, dass ihr Liebesleben auf dem Campus hinter den Erwartungen zurückgeblieben war.“ Eine Seite später: „Obwohl Madeleine sexuell nicht unerfahren ans College gekommen war, glich ihre Lernkurve das erste Jahr hindurch einer flachen Linie.“ Eugenides richtet seinen flau-ironischen Blick wie mit einem Fernrohr auf Menschen, mit denen er eigentlich nichts zu tun hat. Bei der ersten und letzten Szene, die dem armen Mitchell Gelegenheit gäbe, der von ferne Geliebten nahezukommen, bemerkt er von ihr wenig mehr als die Form ihrer Beine: „Ihre Oberschenkel waren etwas voller, als er erwartet hatte.“ Daraus kann ja dann nichts werden. Und selbst der arme, von den Psychopharmaka lethargisch gemachte Leonard erlangt von seinem Autor keinen besseren Zuspruch als dahingestümperte Sätze wie diesen: „Er war zwar nicht impotent oder unfähig zum Vollzug, aber er hatte einfach kein großes Interesse daran. Das hatte vermutlich damit zu tun, wie unattraktiv und vorzeitig gealtert er sich durch das Medikament fühlte.“

Nein, das ist wirklich kein guter Roman.



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