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Ulrich Greiner

Fertig ist das Mondgesicht

Hier wird vergeblich um Haltung gekämpft: Anna Katharina Hahns Roman
»Am Schwarzen Berg«

Wer sich für die Herkunft des sogenannten Wutbürgers interessiert, wird von Anna Katharina Hahn gut bedient. Ihre Romane schildern ein Mittelstandsmilieu, das äußerlich geordnet und gut angepasst ist, sich im Inneren jedoch von einem Sinndefizit schwer bedroht fühlt. Eine latente Empörungsbereitschaft sucht sich dann moralisch unangreifbare Ziele, wie etwa die Verhinderung des Bahnhofsneubaues in Stuttgart, und es ist kein Zufall, dass Anna Katharina Hahns vierter Roman „Am Schwarzen Berg“ ebendort spielt. Der alternativ inspirierte Held der Geschichte baut Baumhäuser gegen das Abholzen. Sie geben ihm keinen Halt, er gerät ins Schlingern. Seine Frau samt Kind hat ihn verlassen, mit ihrem Liebhaber ist sie spurlos verschwunden. Peter, so heißt er, wird sich am Ende erhängen. Auch das übrige Personal kämpft vergeblich um Haltung. Die von Langeweile und verfehltem Ehrgeiz geplagten Ärzte, Therapeuten und Lehrer trösten einander mit gelegentlichen Seitensprüngen und einem ordentlichen Schluck aus der Flasche.

Es handelt sich hier, um es kurz zu machen, um ein ausgesprochen tristes Werk; trist nicht deshalb, weil die Geschichte schlimm endet, sondern trist, weil diese in ihre banale Alltäglichkeit völlig verstrickten Menschen furchtbar uninteressant sind. An ihrem Geschick Anteil zu nehmen fiele dem Leser auch dann nicht leicht, wenn Anna Katharina Hahn die Kunst literarischer Ökonomie und Anschaulichkeit besäße. Ihre Sprache jedoch ist stumpf wie ihre Gegenstände. Melodische Bögen, rhythmische Gliederungen sind ihr fremd, tapfer stolpert sie von Hauptsatz zu Hauptsatz und strapaziert unsere Geduld mit Informationen wie diesen: „An der Böblinger Straße parkte Emil den Audi hinter einem alten Toyota.“ Später heißt es: „Zwischen zwei vertrockneten Rasenstücken bog er rechts ein und stellte den Wagen in der Alexanderstraße ab.“ Und dann: „Ihr schwarzer Golf stand neben Peters rostigem Fiat in der Einfahrt.“ Haben wir einen Polizeibericht vor uns? „Unter einer dunkelblauen Kostümjacke trug sie eine weiße Bluse mit Schleifenkragen und einen kurzen Rock, dazu perlmuttglänzende Strumpfhosen.“ Wollen wir das wissen? Und was fangen wir mit diesem Satz an: „Ottos Körper war Veronika in guter, wenn auch verschwommener Erinnerung“?

Die Zustimmung, die Anna Katharina Hahn offenbar findet, hat mit einer merkwürdigen Renaissance des literarischen Naturalismus zu tun. Dessen Autoren suchen ihr Glück nicht in der poetischen Überhöhung, sondern in der protokollarischen Abbildung des Alltags. Die Menschen erscheinen als bloßes Produkt ihres Milieus, ihrer sozialen Herkunft, der gesellschaftlichen Gestimmtheit. Vielleicht ist diese Tatort-Ästhetik so beliebt, weil sie die Menschenwelt, wie sie uns täglich über den Weg läuft, schlankweg widerspiegelt. Aber brauchen wir dazu Literatur? Brauchen wir Romane, die frei von Ironie und Distanz, frei von sprachlicher Durchdringung und Verdichtung genau das abbilden, was ein jeder sieht, wenn er vor die Tür tritt oder die Hose runterlässt?

„Carlas Brüste waren groß und weich gewesen, mit weit ausufernden hellbraunen Warzenhöfen. Sie nannte sie ihre ›Schlittentitten‹. Carla hatte nach Emils Penis gegriffen und ihn in den Spalt zwischen ihren Brüsten gesteckt. Sie drückte das Fleisch mit beiden Händen zusammen und lehnte den Kopf zurück, um ihr Werk mit einem Lächeln zu betrachten. Doch während des Vögelns klagte sie über Schmerzen im ›unteren Rücken‹ und bat Emil nach einer Weile, er möge aufhören, sie könne nicht mehr. Außerdem holze er wie in einem schlechten Porno.“

Mag sein, dass Anna Katharina Hahn mit solch herzlosen Grobheiten ein bestimmtes Bürgertum anvisieren und bloßstellen will. Das gibt es ja alles. Aber die Menschen ihrer Geschichte kommen uns nicht nahe, sie berühren uns nicht, es gelingt ihr nicht, sie plastisch zu machen, es sind Karikaturen, mehr nicht. Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht.



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