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Ulrich Greiner Islam und Semantik Wer oder was gehört wem und zu wem? Eine kleine Wortklauberei. Der folgende Beitrag erschien in der ZEIT vom 10. März 2011 Den vor einem halben Jahr weidlich diskutierten Spruch des Bundespräsidenten „Der Islam gehört zu Deutschland“ zu wiederholen und ihn in sein Gegenteil zu kehren war keine gute Idee des neuen Innenministers Hans-Peter Friedrich. Um mit Karl Kraus zu reden: Je länger man den Satz anschaut, umso fremder blickt er zurück. Was soll das heißen, der Islam gehöre (oder gehöre nicht) zu Deutschland? Das Wort „gehören“ gehört zu den vieldeutigsten überhaupt, und man darf annehmen, dass Christian Wulff es gerade deshalb gewählt hat. Wer im Deutschen Wörterbuch nachschlägt, findet, dass „Gehören“ zunächst ein verstärktes Hören im Sinne des Gehorchens bedeutet. Ein Kind konnte man früher fragen „Wem gehörst du?“, wenn man damit sagen wollte, „Wer sind deine Eltern, wem hast du zu gehorchen?“. Der Angehörige ist hier der Abhängige, er gehört zu einer Person, die mächtiger ist als er selbst. Schiller lässt seinen Wallenstein dem Max Piccolomini, als dieser ihm die Gefolgschaft verweigern will, herrisch entgegnen: „Gehörst du dir? Bist du dein eigener Gebieter? Auf mich bist du gepflanzt, ich bin dein Kaiser! Mir angehören, mir gehorchen, das ist deine Ehre, dein Naturgesetz.“ Und in Goethes Wilhelm Meister sagt der geheimnisvolle Harfner: „Fragen Sie mich nicht, ich gehöre nicht mir zu.“ Worauf Wilhelm gleichwohl fragt: „Wem gehörst du an?“ Neben der Bedeutung eines Besitz- oder Befehlsrechtes gibt es dann die des Schicklichen („Das gehört sich nicht“) oder Passenden („Das gehört nicht hierher“). Schließlich kann „gehören zu…“ eine sachliche Unterordnung oder Eingruppierung bedeuten. Man kann sagen, Eppendorf gehöre zu Hamburg, aber wohl kaum, Hamburg gehöre zu Eppendorf. Und da „der Islam“ zweifellos quantitativ größer ist als Deutschland, würde man sagen können, Deutschland gehöre zum Islam, aber nicht umgekehrt. Das leicht erkennbare Problem besteht aber darin, dass hier etwas Abstraktes und etwas Konkretes miteinander in Beziehung gesetzt werden. Der Islam ist ein Abstraktum, eine Idee, der man logischerweise etwas Ähnliches wie eine „deutsche Idee“ oder eine „deutsche Religion“ gegenüberstellen müsste, was ja mit der Leitkultur glücklos versucht wurde. Will man aber den logischen Bruch vermeiden, dann muss man sagen, dass die hier lebenden Muslime zu Deutschland gehören, was allein schon deshalb unstrittig ist, weil sie hier leben. Genau diese Ungenauigkeit macht den diskursiven Reiz des Satzes aus. Deshalb taugt er für einen endlosen Streit. Auf der Oberfläche konstatiert er eine Trivialität, darunter aber schwingt etwas Normatives mit. Er verknüpft etwas, was kategorial nicht zusammengehört. Und er spielt auf schillernde Weise mit dem Bedeutungsreichtum des Gehörens, Angehörens und Zu-etwas-Gehörens. Vielleicht sollten wir auf Herder hören, der gesagt hat: „Ermanne dich. Nein, du gehörst nicht dir, dem großen, guten All gehörest du.“
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